Angedacht
Ruben weiß nicht, wo ihm der Kopf steht.
Das Haus ist voll. Bis auf den letzten Platz gefüllt. Menschen aus allen Himmelsrichtungen kommen zu ihnen. Lea braucht mehr Mehl, um alle versorgen zu können. So geht das schon seit Tagen.
Wer hatte eigentlich diese unsinnige Idee, dass alle hierherkommen sollen?
Na klar, der Kaiser …
Seine Laune sinkt mit jedem Tag:
„Mach doch mal Platz!“ „Hör auf zu schreien!“ „Wasch deine Wäsche selbst!“ „Nein, kann ich nicht!“ „Nein, habe ich nicht!“ „Geh spielen!“
Endlich eine kurze Pause, es ist schon spät- da klopft es wieder an der kleinen Haustür. Ruben bleibt einfach sitzen – es kloppf noch einmal – können die nicht weitergehen?
Sie geben nicht auf. Müde erhebt er sich und öffnet die Tür. Ein Mann und eine Frau stehen da (das hattet ihr euch schon gedacht, aber er kennt ja die Geschichte nicht) - Natürlich wollen die beiden auch noch einen Platz zum Schlafen – bis auf den letzten Platz gefüllt – aber es ist schon dunkel und das Kind kommt bald. Das Kind? Diese Leute kann er nicht fortschicken, das weiß er sofort und er will auch seine Ruhe.
„Im Stall ist noch Platz!“ Erschöpft lehnt er sich an die wieder geschlossene Tür. „Hast du an das Mehl gedacht?“, „Kann ich noch einen Krug Wasser bekommen?“, „Es ist kein Öl mehr in der Lampe.“ … Das darf doch nicht wahr sein! Noch Stunden ist er auf den Beinen. Dann endlich ist Ruhe im Haus. Er braucht frische Luft. Leise öffnet er die Tür und setzt sich auf die Bank vorm Haus. Wie schön es hier ist. Diese Ruhe und dieses Leuchten. Leuchten? Verdutzt setzt er sich kerzengerade auf die Bank. Es ist mitten in der Nacht. Sein Blick wandert zum Stall. Ein heller Stern steht dort, direkt über dem Stall. Er kann nicht anders: Seine Füße gehen ganz von selbst. Vorsichtig öffnet er die Tür. Die Frau winkt ihn näher. Dann entdeckt er es. Das Neugeborene. So klein, so vollkommen, so wunderbar. Er fühlt sich ganz leicht. Leise verlässt er den Stall, holt noch ein paar Felle, etwas Brot und Milch. Nein, das macht ihm nichts aus. Das strengt ihn auch nicht an. Nachdem er noch eine lange Weile das Kind bestaunt hat, geht er in seine Kammer und legt sich hin. Kurz bevor er einschläft, weiß er: „Davon muss ich morgen allen erzählen!"
Ihre Marie-Luise Knepper